Schwerpunkte & Leidenschaften

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Die vorliegende Seite erfüllt eine allokative Funktion und beschäftigt sich demnach mit der Frage, in welchen thematischen und sozial-gesellschaftlichen Bereichen ich mich als Sommelier gerne umtreibe. Auf der Seite «Degustation» sind hingegen konkret-konzeptuelle Degustationsvorschläge zu finden.

Es gibt verschiedene Indikatoren, anhand derer sich die sensorische und thematische Breite des Bieres aufzeigen lässt. Einer davon ist die Anzahl Bierstile. Man spricht hier von circa 150. Inwieweit diese Zahl die sensorische Vielfalt repräsentiert, kann durch eine Aufzählung der Bierstile, die in unseren Breitengraden gängig sind, zumindest erahnbar gemacht werden: Klassischerweise wird hier auf das Lager (Hell und Spezial), auf das Amber, auf das Schwarz– und das Weizenbier verwiesen. Auch das Doppelbock, das Stout und die belgischen Abteibiere sind nicht unbekannt. Mit dem Wit und dem IPA klopfen zudem zwei weitere Stile an die Pforte des kollektiven Bewusstseins an. Aber hier beginnt die Luft zum Aufzählen nach und nach dünner zu werden, und analog zum Bergsteiger, bei dem eine zunehmende Sauerstoffknappheit schon fast ein Versprechen für ein aufregendes Panorama darstellt, steigt auch die Leidenschaft des Sommeliers an, sobald sensorisch-unbekanntes Terrain naht (wobei der Bezug zum Basislager auch aus didaktischer Sicht nie ausser Acht gelassen werden soll).
Die besagten 150 Stile ermöglichen auch einem Sommelier, immer wieder neue Geschmäcke und Gerüche zu entdecken. Ingredienzien und Herstellungsarten bieten einen beinahe unermesslichen Spielraum für Kreativität. Darüber hinaus sind Bierstile natürlich nicht hermetisch voneinander abgeriegelt und ermöglichen so eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten (ähnlich dem Assemblieren von Rebsorten).

Ausgehend von den obigen Ausführungen sollten der Facettenreichtum und damit einhergehend auch die Anzahl an Spezifizierungsmöglichkeiten vorstellbar geworden sein. Dies ermöglicht mir einen Übergang zu meinen Steckenpferden.

Camum und Caelia – zwei (unbekannte) römische Bierstile.


(i) Bier & seine Geschichte
Ich entführe die Teilnehmer meiner Degustationen gerne auf eine sensorische Zeitreise. Vermittelt durch historische Bierstile – von den ersten Hochkulturen über die Antike und das Mittelalter bis hin zur Moderne – stellen sich Fragen à la: Wie hat sich das Bier verändert und welche Ursachen kann man dafür nennen? Wie lassen sich unterschiedliche kulturelle Wertigkeiten erklären? Dabei interessiere ich mich sowohl für einen globalen Blick, der geographisch und zeitlich umfassend ist, als auch für eine spezifische Betrachtungsweise, die eine Nation (bspw. Schweiz, Belgien und Italien) oder eine bestimmte Epoche ins Zentrum der Betrachtung rückt.
Diese Leidenschaft führt mich zudem auch immer wieder zu spannenden Projekten. Bspw. entstand 2019 in Zusammenarbeit mit der Blackwell Brewery und anlässlich des Römerfests in Windisch ein historisches Römerbier. Das Rezept basierte dabei auf einer archäologisch-wissenschaftlichen Basis.

So könnte eine mögliche Bier-Zeitreise ausschauen (auf Bild klicken).

(ii) Bier in der gehobenen Gastronomie
Ich esse gerne gut und bin auch nicht selten in GAULT-MILLAU und MICHELIN Restaurants anzutreffen. Diesbezüglich steht ausser Frage, dass ich vor der Sommelier-Tradition und vor herkömmlichen alkoholischen Essensbegleitungen eine grosse Ehrfurcht verspüre. Gleichwohl schätze und suche ich ebenfalls den Austausch mit der jüngeren Sommelier-Generation, die sich neben dem Wein nun bspw. vermehrt für Cidre, Bier und Sake zu interessieren beginnt. Neue, überraschende und anregende Kombinationen werden gesucht. Letztlich zählt bekanntlich die Sensorik – und nicht die Kategorie des Alkohols. Und genau in dieser Eigenschaft kann auch das Bier eine spannende Rolle einnehmen.
Wer kennt es nicht? Durch Erzählungen kann der Sommelier wesentlich zu einem Erlebnis beitragen, welches man mit dem Begriff des «sensorischen Faszinosums» beschreiben könnte. Hierbei ist aber auch klar, dass ein Produkt nur dann für die gehobene Gastronomie geeignet ist, wenn es sich auch ohne Erzählung organisch – sei es als Apéro, Essensbegleiter oder Digestif – in einen Abend einfügen lässt.
Gerne begleite ich auch traditionelle und primär Wein-affine Gesellschaften mit Bier durch den Abend. In dieser Hinsicht ist es für einen Sommelier ein besonderes Privileg miterleben zu dürfen, wie sich anfänglich vorhandene Ressentiments nach und nach in sensorische Neugier und sinnliches Wohlgefallen wandeln können.

Bier und Wein: 5 der 9 Flaschen gehören der Kategorie „Bier“ an.

(iii) Bier und Wein statt Bier vs. Wein
Wein und Bier? Will man dem stereotypen Bild Glauben schenken, so sieht man auf der einen Seite weisse Tischtücher, auf der anderen Seite Fertigpizzas. Man könnte hier natürlich noch weitere antagonistische Assoziationen für die Untermauerung dieses Stereotyps herbeiziehen. Aber selbst wenn diese Kontrastierung durchaus seine Berechtigung hat, möchte ich in der Folge nur begrenzt darauf eingehen, da die Unterschiede sowieso schon inflationär akzentuiert werden.
Obwohl mich zwar die historisch-konstruktivistische Frage, wie, wann und weshalb sich die kulturellen Wertigkeiten von Wein und Bier auseinanderentwickelt haben, sehr interessiert, zoome ich doch lieber auf die Schnittstelle zwischen diesen beiden Getränken: die Sensorik im Allgemeinen oder die Herstellungsart. Bei Letzterer spricht man im Kontext des Weines von Vinifikation: Holzfasslagerung, Autolyse oder biologischer Säureabbau. Obwohl man all diese Methoden gemeinhin mit Wein verbindet, begegnet man ihrer Anwendung auch im Zusammenhang mit Bier.
Neben einer sensorischen und historischen Betrachtung und Gegenüberstellung drängt sich natürlich ebenfalls eine definitorische Auseinandersetzung mit den zwei genannten Getränken auf.

In einem öffentlichen Rahmen findet seit 2017 alljährlich der Anlass «Bier & Wein» statt. Zusammen mit dem Weinhändler und Sommelier Tinu Helfer (WEINKULTUR BERN) führen wir diesen Event jeweils in der Berner Gastronomie-Landschaft durch.